Instructions for writing a philosophical essay HERE
Daniel von Wachter
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Beim Lesen der Literatur und beim Nachdenken bleibe offenen Geistes. Stelle deine bisherige Auffassungen in Frage. Versuche, Dich nicht von philosophischen Moden oder Protesthaltungen leiten zu lassen. Sei nicht gegen alles. Sei nicht für alles. Suche die Wahrheit.
Versuche beim Lesen der Literatur, einen Überblick darüber zu bekommen, welche Auffassungen vertretbar sind und welche Zusammenhänge zwischen den Auffassungen bestehen. Oft hat man bei der Beantwortung einer Frage zuerst eine Entscheidung zwischen A und B, wenn man dann B vertritt, muß man L voraussetzen und hat dann die weitere Wahl zwischen den Auffassungen X und Y, usw.
Beim Lesen eines philosophischen Textes mache dir stets klar, welche Frage der Autor mit dem ganzen Text wie beantwortet und welche Frage der Autor in dem Absatz (Abschnitt, Kapitel) wie beantwortet. Wenn du den Text schwierig findest, schreibe dies nieder. Wenn der Autor nicht in den ersten Absätzen schon sagt, welche These er verteidigen möchte, lies die letzten zwei Absätze oder das letzte Kapitel des Textes bevor du den ganzen Text liest; oder lies den Text einmal schnell, bevor du ihn gründlich liest. (Siehe dazu z.B. Backwinkel & Sturtz: Schneller lesen, oder T. Buzan: Speed Reading.)
Erstrebe klare und scharfe Gedanken, beim Lesen wie beim Schreiben eines philosophischen Textes. Denke mögliche Auffassungen (die du in Texten gefunden hast oder die du selbst entwickelt hast) so lange und so heftig nach, bis der Gedankengang klar wird. Prügle sie in deinen Geist. Es gilt, neue Gedankenwege zu bahnen und das Denken flink und findig werden zu lassen.
Der Aufsatz soll eine Antwort auf eine philosophische Frage sein; z.B. auf die Frage "Ist das Übel in der Welt Evidenz gegen die Existenz Gottes?" oder auf die Frage "Gibt es wahre moralische Urteile?". Die Antwort muß mit Argumenten verteidigt werden. Am Ende zählt nur die Kraft der Argumente.
Achte darauf, daß du die Frage richtig verstehst.
Schreibe nicht über die Frage, sondern beantworte die Frage. Schreibe nicht darüber, was andere Leute geschrieben haben, sondern schreibe selbst etwas. Der Aufsatz soll nicht eine Übersicht über die existierenden Auffassungen oder über die auf der Leseliste genannte Literatur sein. Gib nicht eine Übersicht über die existierenden Auffassungen, sondern verteidige eine Auffassung und kritisiere die anderen. Stelle sicher, daß du die einschlägigen Auffassungen und Argumente kennst und in deiner Argumentation berücksichtigst.
Ein philosophischer Aufsatz handelt nicht von Texten und nicht von Gedanken, die andere Menschen mal gedacht haben, sonderen von einem philosophischen Problem. Aber: Die gründliche Lektüre der einschlägigen Texte (d.h. der Texte, die behandelte Frage zu beantworten suchen) und das Vertrautsein mit den wichtigsten vertretbaren und derzeit vertretenen Auffassungen ist eine Voraussetzung für das Schreiben eines philosophischen Aufsatzes.
Der Aufbau des Aufsatzes soll allein durch den Gedankengang der vertretenen Antwort bestimmt sein, nicht dadurch, wer was gesagt hat, oder dadurch, welche Texte auf der Leseliste stehen.
Beginne nicht mit "Schon Platon...". Beginne mit der Frage.
Ein möglicher Aufbau eines Aufsatzes ist:
Zur Not kannst du auch nur die möglichen Auffassungen erörtern ohne eine zu verteidigen. Ergiebiger sind aber meist Aufsätze, in denen eine Auffassung verteidigt wird. Versuche, die richtige Auffassung zu finden. Wenn du eine Auffassung verteidigt hast, bleibe offen dafür, sie wieder aufzugeben. Also:
Sage alles, was Du zu einem Punkt zu sagen hast, an einer Stelle. Für jeden Gedanken, der in den Aufsatz gehört, suche die richtige Stelle in dem Aufsatz und entwickle ihn dort vollständig, ohne daß er von anderen Gedanken unterbrochen wird, und in der nötigen Ausführlichkeit. (Manchmal ist es auch hilfreich, dasselbe auf zwei verschiedene Weisen zu sagen.) Also nicht: zwei Sätze mit einem Gedanken, dann zwei mit einem anderen Gedanken, dann wieder ein Satz zum ersten Gedanken. Vermeide, daß der Leser sich die Bruchstücke eines Gedankens von verschiedenen Stellen zusammensuchen muß. Vermeide Wiederholungen.
Schwafel nicht. Schreibe konzise, d.h. kurz und prägnant. Schreibe nichts, was nicht der Beantwortung der Frage dient. Alles, was du schreibst, soll seinen Platz im Gedankengang haben. Jeder Absatz soll eine Aussage machen, die der Entwicklung deiner Antwort dient; jeder Satz soll eine Aussage machen, die der Aussage des Absatzes dient.
Prüfe jeden Satz daraufhin, ob es einen guten Grund gibt, warum er nicht genausogut weggelassen oder gekürzt werden könnte.
Definiere Fachausdrücke und lege bei mehrdeutigen Worten die Bedeutung so fest, wie du es für den Aufsatz brauchst. Sag z.B. daß du unter "Übel" nicht nur moralisch Schlechtes, sonderen jeglichen schlechten Sachverhalt verstehst. Sage stets, was du genau meinst. Sage z.B. nicht nur "Der Nominalismus wendet sich gegen das allgemeine", sondern "Unter Nominalismus verstehe ich die Auffassung, daß es keine Universalien gibt, d.h. keine Sachen, die vollständig an mehreren Dingen vorkommen können".
Wo möglich, löse Probleme auf, indem du verschiedene Sinne und Verwendungsweisen von Worten unterscheidest und dann Wortbedeutungen so definierst (möglichst im Einklang mit dem Sprachgebrauch und mit der üblichen Fachtermininologie), wie es für den Aufsatz nützlich ist.
Es erleichtert das Lesen, wenn im ersten Satz eines Absatzes der Hauptpunkt des Absatzes ersichtlich ist, indem z.B. die Behauptung genannt wird, die der Absatz macht, oder die Frage genannt wird, die der Absatz beantwortet, oder das Argument genannt wird, das der Absatz vorträgt.
Es ist leserfreundlich, wenn du am Anfang des Aufsatzes nicht nur sagst, welche Frage du behandeln wirst, sondern auch welche Antwort auf die Frage du verteidigen wirst. Wird die Antwort erst am Schluß verraten, kann der Leser das, was er liest, besonders die Argumente, nicht gut einordnen, verstehen und bewerten.
Oft tragen Autoren die schlechteren Argumente zuerst und die abzulehnenden Auffassungen zuerst vor. Willst du einen philosophischen Aufsatz schreiben oder einen Krimi? Erwäge, ob der Text nicht klarer, leserfreundlicher und interessanter wird, wenn du deine Auffassung darlegst bevor du abzulehnende Auffassungen darlegst und diskutierst. So verschaffst du dem Leser zuerst Verständnis und Erkenntnis der Sache, womit er dann (wenn er sich nicht sogar das Weiterlesen sparen möchte) leichter verstehen kann, weshalb die anderen Auffassungen falsch sind. Bringe das Wichtige zuerst.
Schreibe nicht darüber, was du nicht schreibst. Schreibe nicht "Aus Platzgründen kann ich hier nicht Thema X in gebührlicher Ausführlichkeit behandeln (obwohl ich soviel darüber weiß!)", sondern schweige einfach über Thema X. Nötigenfalls empfehle in einer Fußnote Literatur. Wenn etwas nicht zum Thema gehört oder der Platz (oder bei einem Vortrag die Zeit) beschränkt ist, brauchst du dich nicht dafür entschuldigen (und durch die Entschuldigung Platz verschwenden). Schreibe aber, soweit dies nicht offensichtlich ist, welche wichtigen umstrittenen Voraussetzungen du machst und in dem Aufsatz nicht verteidigst. Verweise in Fußnoten auf Texte von anderen oder von dir, wo deine Annahmen verteidigt werden.
Behandle nicht ein Thema, indem du schreibst, was dir gerade dazu einfällt oder was dir wichtig ist, sondern steige in das Thema ein, indem du die Frage stellst (und erläuterst), die es zu beantworten gilt. Dann beantworte die Frage. Stelle nicht der Reihe nach dar, was verschiedene Autoren zu dem Thema gesagt haben, sondern gehe von der Frage aus, nenne der Reihe nach die möglichen Antworten und führe an, was dafür und was dagegen spricht. Dabei kannst du nennen (hierfür eignen sich Fußnoten gut), welche Autoren welche Antwort und welches Argument vertreten.
Behandle nur solche Fragen, deren Beantwortung für die Beantwortung der Hauptfrage des Aufsatzes nötig ist, und beantworte sie genau so ausführlich, wie es nötig ist. Sage nicht "Der Frage X können wir hier aus Platzgründen nicht weiter nachgehen". Wenn nötig, beantworte Frage X, andernfalls nenne sie gar nicht und verliere kein Wort darüber.
Differenziere. Sage z.B. nicht, "Seit Kant wissen wir, daß man Gott nicht beweisen kann", sondern sage: Durch Argumente für oder gegen die Existenz Gottes können wir soundso starke Gründe für/gegen den Theismus haben; des weiteren hängt die Rationalität des theistischen/atheistischen Glaubens ab von x, y und z, usw.
Verteidige nicht nur deine Auffassung, sondern bringe auch heraus, was gegen deine Auffassung spricht und welches ggf. die zweitbeste Auffassung ist. Versuche, den Leser zu überzeugen. Sei dir bewußt, daß es auch gegen deine Auffassung Argumente gibt. Sei in diesem Sinne nicht dogmatisch.
"X ist nicht beweisbar" ist kein Argument gegen X und kein Grund, non-X anzunehmen. Die Frage ist nicht, ob X beweisbar (oder "absolut gewiß"), sondern ob X wahr ist. Frage, was für und was gegen X spricht. Wirf alles Relevante in die Waagschale und wäge ab. Wenn du findest, daß mehr für als gegen X spricht, sag das und daß du deshalb für X argumentierst. X annehmen heißt, X wahrscheinlicher als non-X finden. Wenn du in dir wie Descartes die Neigung findest, nichts als apodiktisch Gewisses anzunehmen, gehe in dich. Frage dich, was "beweisbar" und apodiktisch gewiß ist. Frage dich, was Beweisbarkeit oder apodiktische Gewißheit überhaupt sein soll. Solltest du etwas finden, was apodiktisch gewiß ist, freue dich, aber forsche auch in Gebieten, wo keine apodiktische Gewißheit erreicht wird, fröhlich weiter.
Kant meinte, in der Metaphysik sei "nichts denn apodiktische Gewißheit" annehmbar. "Man komme mir nicht mit dem Spielwerk der Wahrscheinlichkeit!" Ist das eine richtige Forderung? Ferner verbat sich Kant in der Philosophie die "Wünschelrute des so genannten gesunden Menschenverstandes". Ist das ein guter Rat?
Nicht überreagieren und nicht die gegnerische Position überzeichnen ("Strohmann"). Zum Beispiel sage nicht "Man kann nichts wissen von den Dingen an sich", wenn du nur meinst, daß man wenig weiß oder daß man nur geringe Gewißheit erlangt.
Vermeide Metaphern und Analogien. Sage z.B. nicht "Es gibt keine Wahrheit", um auszudrücken, daß etwas nicht oder nur schwer zu erkennen ist. Sage nicht "Es ist wahr für Huber, daß es Gott gibt", um auszudrücken, daß Huber glaubt, daß es einen Gott gibt. Sage statt dessen einfach: "Huber glaubt, daß es einen Gott gibt".
Meist sind kürzere Sätze besser als lange. Frage bei jedem Satz, ob sich der ausgedrückte Gedanke auch klarer und kürzer ausdrücken läßt. Trainiere das Kürzen von Sätzen und Texten. Trainiere die Beherrschung der Sprache, indem du denselben Gedanken mit Sätzen verschiedener grammatischer Struktur ausdrückst. Vermeide Füllwörter und Floskeln. Schreibe nicht wie viele Journalisten im Feuilleton deutscher Zeitungen. Suche stets genau das richtige Wort. Verwende nicht Relativsätze, um wichtige Aussagen zu machen. Wenn etwas keine wichtige Aussage ist, lasse es weg, andernfalls schreibe dafür einen eigenen Satz. Verwende nicht eine Beschreibung statt eines Namens, es sei denn du findest wirklich, daß der Text dadurch so viel schöner wird, daß der Leser deshalb gerne deshalb mehr Zeit und Mühe aufwenden wird. Schreibe z.B. nicht "der große Königsberger Philosoph", sondern einfach "Kant".
Verwende Substantivierungen nur, wenn sie den Satz verständlicher oder konziser machen. Also nicht "Substrate vollführen die Instantiierung von Universalien", sondern "Substrate instantiieren Universalien". Meide die Hauptwörterei. Schreibe also nicht "Bei Lebewesen von begrenzter geistiger Begabung ist bei allzu großem Wohbefinden oft die Neigung zu Tanzübungen auf glattem Untergrunde vorhanden", sondern "Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen". (Beispiel aus Ludwig Reiners "Stilfibel", S. 72.)
Verwende Ausdrücke der richtigen Genauigkeit. In der Regel sind besondere Ausdrücke allgemeinen vorzuziehen. Wähle also den Ausdruck, der so genau wie möglich ist, z.B.nicht "Die kausalen Vermögen eines Dinges hängen eng zusammen mit den Eigenschaften des Dinges", sondern "Jede Eigenschaft eines Dinges verleiht ihm ein bestimmtes kausales Vermögen". In einer Frage ist es hingegen oft richtig, einen allgemeinen Ausdruck zu verwenden, z.B. "Was ist der Zusammenhang zwischen den Eigenschaften und kausalen Vermögen eines Dinges?". Hier noch eine Veranschaulichung aus Reiners Stilfibel: Schreibe nicht: "Und warum machet ihr euch Gedanken wegen eurer Lebensbedürfnisse? Schauet die Blumen in der Natur, wie sie an Größe zunehmen, sie verrichten keinerlei Arbeit. Aber die Vorsehung Gottes verhilft ihnen doch zu einer Bekleidung.", sondern "Und warum sorgt ihr für die Kleidung? Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie spinnen auch nicht. Aber Gott kleidet sie doch."
Verwende keine überflüssigen Fremdworte, z.B. "konzedieren" statt "eingestehen", "Basis" statt "Grundlage" oder "negativ" statt "schlecht".
Übe dich im Lesen und Schreiben englischer Texte, aber bemühe dich noch mehr um gutes Deutsch. Siehe Ludwig Reiners: Stilfibel: der sichere Weg zum guten Deutsch (Verlag C.H. Beck). Siehe auch www.vds-ev.de und www.deutsch-perfekt.com.
Wenn du gute philosophische Texte liest (z.B. David Lewis, Swinburne, Mackie), denke darüber nach, wie du auch so gute Texte schreiben könntest.
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