Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter im Interview in Colin Barkes und Stephan Langes Podcast „Glaube ist frag-würdig“. Liste der Folgen mit Daniel von Wachter. Zuerst erscheinen die Folgen auf letscast.fm, der Link zum Herunterladen findet sich auf podcast.de. Weitere Plattformen: Youtube, letscast.fm, Spotify, Amazon.de, podcasts.google.com, podcasts.apple.com, Stitcher, Deezer, listennotes.com, podtail.com, Tunen, Pocketcasts, Podcast Addict, RSS-Feed.
Podcast vom 2. Juli 2023 auf podcast.de.
Das Urheberrecht liegt beim Sprecher.
(Einige Stellen des folgenden Textes wurden überarbeitet, einige sind Zusammenfassungen des Gesprochenen.)
Interviewer: Herzlich willkommen zum Podcast „glauben ist fragwürdig“. Schön, daß du wieder mit dabei bist. Heute wieder mit dem Philosophen und Theologen Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter
Interviewer: Heute wird es um die Frage gehen: Sind Wunder möglich? Eine sehr zentrale Frage im Christentum. Es scheint ja beim ersten Hören kontraintuitiv zu sein, daß ein Wunder möglich ist. Bevor wir da einsteigen, Daniel, erstmal: Was ist überhaupt ein Wunder?
Daniel von Wachter: Ich stell gleich mal eine Definition vor, die kohärent und sinnvoll ist. Ein Wunder ist ein Ereignis, das direkt von Gott hervorgebracht wurde und das an Stelle eines Ereignisses eintritt, welches die Natur, also die materiellen Dinge, sonst hervorgebracht hätten. Es steht gleichsam einem anderen Ereignis im Weg. Anders gesagt: Da läuft ein kausaler Vorgang. Der kann darin bestehen, daß entweder etwas einfach weiterexistiert, oder darin, daß sich etwas weiterentwickelt. Jedenfalls etwas Natürliches läuft. Und dann bringt Gott ein Ereignis hervor. Er sagt gleichsam, dieses geschehe jetzt, und dann geschieht das Beabsichtigte, und deshalb geschieht etwas anderes nicht, was sonst geschehen wäre.
Interviewer: Das klingt schon nach einer präzisen Definition. Hast du ein Beispiel dafür?
Daniel von Wachter: Das prominenteste Beispiel im Christentum ist die Auferstehung Jesu, weil an der Auferstehung Jesu das ganze Christentum hängt. Die ersten Vertreter des Christentums, also die Jünger Jesu haben alle gesagt: Wir glauben, daß dieser Jesus der von Gott gesandte Erlöser ist, weil wir gesehen haben, daß er auferstanden ist vom Tode. Auch da gibt es viele Heilungen im Neuen Testament. Die sind ein bisschen schwieriger, weil man nicht so genau weiß, was da geschehen ist. Aber sie sind schon als Wunder dargestellt. Aber die Auferstehung Jesu ist deutlicher. Deshalb dient die Auferstehung Jesu eigentlich immer als das klarste Beispiel. Man kann auch Wasser zu Wein nehmen oder die Teilung des Roten Meeres, sodaß das Volk Israel durchmarschieren konnte.
Interviewer: Gerade in Deutschland ist eine wunderkritische Haltung weitverbreitet. Wann hat das in der deutschen Geschichte angefangen?
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Daniel von Wachter: In der deutschen Geschichte ist da etwas Besonderes geschehen. Es gab die Behauptung der Unmöglichkeit von Wundern schon im sogenannten Deismus in England. Und dann auf eine andere Weise beim schottischen Philosophen David Hume. Aber dann ist dieses Argument oder diese Behauptung im deutschen Denken enorm stark geworden. Wir können dieses Argument vielleicht auf Thomas Hobbes zurückführen. 1588 geboren. Dann bei Baruch de Spinoza, Baruch Jahrgang 1632. Dann war es in David Hume. Christian von Wolff hat die Wunder nicht so offen bestritten, aber er vertrat, wie Hobbes und Leibniz, den sogenannten Determinismus. Durch Immanuel Kant dann wurde diese Weltsicht stark verbreitet, er vertrat sie durch sein sogenanntes „Kausalprinzip“. Dadurch hat sich die Vorstellung verbreitet, daß dieses Universum wie ein Uhrwerk abläuft, daß also jedes Ereignis vorher festgelegt ist und auch vorher berechenbar ist. Und wenn das wäre, dann hätten Wunder keinen Platz in dieser Welt. Nach dieser Sicht beschreiben die Naturgesetze, wie dieses Uhrwerk abläuft. Ein Naturgesetz beschreibt nach dieser Sicht, daß einen Ereignis der Art x immer ein Ereignis der Art y folgt. Da stand stand da auf einmal die These im Raum, daß der Determinismus eindeutig wahr ist. Besonders im 19. Jahrhundert war diese Auffassung unter Intellektuellen verbreite.
Kant, sagte, es sei a priori gewiß, also durch bloßes Denken. Man könne gar nicht anders denken. Aus Kants Kausalprinzip folgt, daß Wunder und Willensfreiheit unmöglich sind. Kant schließt beides aus, ohne zu untersuchen, ob es diese gibt. Der Kantianer braucht Wunderberichte gar nicht zu lesen oder anzuhören, weil er eh schon weiß, daß es keine Wunder gibt. Er glaubt, daß er das durch reines Denken weiß. Er glaubt, eine höhere Erkenntnis zu besitzen. Deshalb kam in der Debatte zwischen William Lane Craig und dem deutschen Theologen Gerd Lüdemann über die Auferstehung Jesu kein echtes Gespräch zustande. Denn Lüdemann setzt sowieso voraus, daß es keine Wunder geben könne.
Durch Friedrich Schleiermacher kam der Gedanke der Wunderunmöglichkeit um 1800 in die Theologie. Schleiermacher sagte: Wir können gar nicht mehr an Wunder glauben, denn diese sind nicht mit der Naturwissenschaft vereinbar. Er zieht dann aber nicht den naheliegenden Schluß, daß er das Christentum ablehnen sollte, sondern er sagte, er wolle das das Christentum retten, und deshalb sollten wir das Christentum so umformen, sodaß es keine Wunder mehr enthält. Daraus entstand die deutsche liberale Theologie. In Bezug auf Wunder war dann im 20. Jahrhundert der Theologe Rudolf Bultmann einflussreich. Der sagte immer wieder: Man kann heute nicht mehr an Wunder glauben. Dieses Grundgefühl prägt die liberale Theologie: Man kann nicht an Wunder glauben. Das war im 19. Jahrhundert im deutschen Denken herrschend, also unter denen, die sich für klug hielten und vielleicht auch Professoren waren.
Die liberale Theologie ist eine Umformung des Christentums, oder besser gesagt, sie ist ein Substitut für das Christentum. Sie lehnt die christliche Lehre ab, gibt den vom Christentum verwendeten Worten neue Bedeutungen und sagt, das ist jetzt das Christentum. Das wurde in die deutschen theologischen Fakultäten und in die Landeskirchen eingepfropft, und die normalen Christen fanden sich auf einmal an den Rand gedrängt. Ein genialer Trick, den man sich fast nicht ausdenken kann. Durch so eine Substitutbildung kann man den Feind noch viel gründlicher zerstören als durch normale Kritik. Man übernimmt dabei Macht und Besitztümer des Feindes. Die liberale Theologie hat die Kirchen und die theologischen Fakultäten im ganzen Westen komplett verändert und unchristlich gemacht. Wenn die Kirchen und die theologischen Fakultäten christlich geblieben wären, sähe die Welt heute ganz anders aus.
Die theologischen Fakultäten und die Kirchen wurden also dadurch stark verändert, daß sie die die Wunder auf einmal nicht mehr angenommen haben. So hat die These, daß Wunder unmöglich sind, den Gang der Welt enorm verändert. Das war eine geschichtsträchtige These. Wenn die deutschen evangelischen Landeskirchen nicht die liberale Theologie entwickelt hätten, hätte sich im Westen das Denken und die Geschichte anders entwickelt.
Auch heute noch ist die Wunderunmöglichkeitsthese in bestimmten Kreisen in den Köpfen drin. Unter Christentums Kritikern ist sie immer noch beliebt, und auch unter Theologen. Für viele Theologen sind Eingriffe Gottes immer noch ein rotes Tuch. Das habe ich oft in Gesprächen und auf Tagungen beobachtet. Sie versuchen, die Wunderberichte irgendwie anders zu erklären. Das war doch kein Eingriff, oder? Vielleicht war es nur ein Eingriff, der innerhalb der quantenmechanischen Unbestimmtheit ist. Das Gefühl ist, daß man an Eingriffe Gottes besser nicht glauben sollte und daß sie mit der Vernunft in Spannung stünden. Gruppendruck wirkt da auch mit.
Die Wunderunmöglichkeitsthese ist mit zwei Begriffen verknüpft. Erstens wird die Wunderunmöglichkeitsthese mit dem Vernunftbegriff verknüpft, so daß das Gefühl entsteht, daß Wunder und Vernunft in Spannung stünden und daß es also unvernünftig wäre, an Wunder zu glauben.
Der zweite Begriff, der hier wichtig ist, ist der Begriff der Naturgesetze. Denn David Hume hat ein Wunder definiert als eine Verletzung der Naturgesetze. Wenn die Naturgesetze sehr gewiß und die Wunder eine Verletzung der Naturgesetze wären, dann wäre es sehr gewiß, daß es keine Wunder gibt. Und wer dann trotzdem Wunder glaubt, der glaubt dann etwas, was gegen die Vernunft ist.
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Interviewer: Eine der Säulen der Wunderskepsis scheint der Determinismus zu sein. Kannst Du diesen kommentieren?
Daniel von Wachter: Immanuel Kant stellte ein Prinzip auf, das er Kausalprinzip nannte. Ich habe das Zitat hier: „Alles was geschieht, ist jederzeit durch eine Ursache nach beständigen Gesetzen vorherbestimmt. Diese sind wirklich allgemeine Naturgesetze, die völlig a priori bestehen.“ Was heißt das? Jedes Ereignis ist vorher festgelegt. Es ist etwas vorher geschehen, welches festgelegt hat, daß dieses Ereignis unbedingt eintreten wird. Da gab es also Ereignisse, welchen den Gang der Dinge in dieser einen Hinsicht festgelegt haben. Festlegen hat etwas mit Notwendigkeit zu tun, also mit sogenannten Modalitäten. Etwas, was zu einer Zeit geschieht, erzwingt, daß etwas Bestimmtes zu einer bestimmten späteren Zeit geschieht. Die Verbindung ist Kausalität. Dieses frühere Ereignis oder die frühere Gruppe von Ereignissen ist die Ursache des späteren Ereignisses, des Determinierten also.
Im Kausalprinzip kommen noch die Naturgesetze hinzu. Sie beschreiben nach dieser Sicht, was was festlegt. Sie beschreiben, was für einem Ereignis was für Ereignissen folgen. Für jedes Ereignis sagen, gemäß dieser Sicht, die Naturgesetze, was diesem Ereignis folgen wird. Das kann ein großes Ereignis sein oder ein kleines Ereignis sein. Es kann ein Fall eines Steines sein, oder es kann das ganze Universum sein. Die Naturgesetze sagen, daß jedem Ereignis der Art x ein Ereignis der Art y folgt.
Kant hat den Determinismus wahrscheinlich von Christian von Wolff übernommen. Vorher gab es ihn schon bei Hobbes, Spinoza und Leibniz.
Wenn das stimmt, was Kant da sagt, dann gibt es keine Wunder. Warum? Wie gesagt ist ein Wunder ein Ereignis, das direkt von Gott hervorgebracht wurde und welches an die Stelle eines anderen Ereignisses tritt, welches sonst stattgefunden hätte. Und in diesem Konjunktiv, da schimmerte schon durch, daß da gleichsam das Universum auf ein Ereignis gerichtet war, doch dann hat Gott ein anderes hervorgebracht. Der Determinismus schließt das aus. Denn er sagt, daß jedes Ereignis festgelegt ist durch vorangegangene Ereignisse. Da ist kein Platz für Wunder.
00:13:58:20 Daniel von Wachter: Ich würde sagen, was Kant da als absolut, gewiß und apriori und unumstößlich ansah, das stimmt einfach nicht. Es ist überhaupt nicht so, daß es wahr wäre, geschweige denn, daß es offensichtlich wäre, daß jedes Ereignis durch vorangegangene Ereignisse festgelegt wird. Schauen wir die Sache mal andersherum an. Stellen wir uns ein bestimmtes Ereignis vor, z.B. eine rollende Billiardkugel zu einer bestimmten Zeit t. Ist es festgelegt, was danach geschehen wird? Sie bewegt sich in eine bestimmte Richtung und man kann ihre Bahn auch berechnen. Genauso wie man auch Planetenbahnen berechnen kann und Sonnenfinsternisse vorhersagen kann. Aber wir wissen auch, daß die Kugel sich nur so lange in diese Richtung bewegt, in die sie gerade rollt, so lange keine andere sie von ihrer Bahn abbringt. Oder eine Katze kann sie von ihrer Bahn abbringen, oder Gott.
Physikalische Vorgänge haben eine Richtung, die wir mit den Naturgesetzen erfassen können. Aber das bedeutet keineswegs, daß es in diese Richtung gehen muß. Wenn etwas dazwischenkommt, dann geschieht eben etwas anderes. Wenn eine andere Kugel kommt, dann hält sie die erste Kugel auf oder bringt sie von ihrer Bahn ab.
Interviewer: Aber wenn jetzt eine andere Billardkugel dazwischenkommt, dann kann ich das ja auch berechnen. Wenn ich alle Faktoren auf dem Billardtisch kenne oder alle Gegebenheiten grundsätzlich kenne, dann weiß ich ja auch, was dazwischen kommen kann und ob etwas dazwischen kommen kann und kann dementsprechend auch genau vorhersagen, ob die Billardkugel stehenbleiben wird.
Daniel von Wachter: Wenn man die Geschwindigkeit der anderen Billiardkugel kennt, kann man auch ihre Bewegung vorher berechnen, und auch die Bewegung beider Billiardkugeln nach dem Zusammenstoß. Unter der Voraussetzung, daß der Tisch dort bleibt, so wie er ist. Aber das ändert nichts daran, daß wir an dem Gedankenbeispiel trotzdem erkennen können, daß das Rollen einer Billardkugel kein unaufhaltbar Vorgang ist. Das Rollen einer Billardkugel ist etwas, welches durch einen Eingriff von außen verändert oder gestoppt werden kann. Die zwei Billardkugeln stellen wiederum einen Prozeß dar, der von außen abgebrochen und geändert werden kann. Jeder physikalische Vorgang ist es , daß etwas von außerhalb des Vorgangs kommen kann und ihn aufhalten oder verändern kann.
So ist es für jedes einzelne Ereignis auch. Das einzelne Ereignis begründet zwar einen Vorgang in eine bestimmte Richtung, aber dieser Vorgang ist eben gerade nicht deterministisch. Er ist gerade nicht so, daß er etwas Späteres festlegt, sondern es ist nur so, daß, wenn das Ereignis eingetreten ist, dann wird das betreffende andere Ereignis, das zukünftige Ereignis eintreten, wenn nichts anderes auf die betreffende Gegenstände wirkt. Aber wenn etwas anderes wirkt, dann nur dann tritt eben etwas anderes ein, und diese Möglichkeit, daß noch etwas den Gang der Dinge ändert, die besteht bei allen materiellen Vorgängen.
Deswegen meine These. Ein materielles Ereignis kann nie festlegen, was später geschieht, und ein materieller Vorgang kann immer aufgehalten werden von etwas, was dazwischenkommt. Deshalb ist Kants Kausalprinzip falsch. Es ist eben genau nicht so, daß alles, was geschieht, vorher bestimmt war, sondern es ist überhaupt nichts vorher bestimmt. Das ist auch einleuchtend, weil ja das, was zu einer Zeit geschieht, nicht erzwingen kann, was zu einer anderen Zeit geschehen wird. Wie sollte ein Ereignis denn etwas Zukünftiges festlegen? Wie soll ein Ereignis gleichsam über die Zeit hinweg ein zukünftiges Ereignis festlegen? Ein Ereignis kann nicht etwas festlegen, was zu einer späteren Zeit geschieht, weil dazwischen kann ja immer etwas anderes geschehen, welches das zweite Ereignis verhindert.
Diese Eigenschaft der Materie und der materiellen Vorgänge, daß immer etwas dazwischenkommen kann, ist uns wohlvertraut und ist Menschen aus dem normalen Umgang mit der Materie immer vertraut gewesen. Deshalb war die Annahme des Determinismus so ein Fehlgriff Kants und seiner Vorgänger Hobbes, Leibniz und Wolff. Die haben sich irgendwie ausgedacht, daß das ganze Universum mit Notwendigkeit durchtränkt ist. Aber die materielle Welt ist überhaupt nicht so. Denn alle materiellen Vorgänge sind aufhaltbar, und materielle Ereignisse sind alle so, daß sie zwar die Welt gleichsam in eine bestimmte Richtung zu bewegen geneigt sind. Sie begründen eine Tendenz oder Gerichtetheit, wie ich das nenne. Aber dieser Gerichtetheit kann etwas entgegenwirken, so daß sie nicht verwirklicht wird. Es kann etwas ganz anderes geschehen.
Nun könnte man sagen: Wie ist es denn mit dem ganzen Universum? Das ganze Universum stellt einen kausalen Vorgang dar. Und natürlich, wenn es nichts gibt außer dieses Universum, dann kann diesen nichts aufhalten. Dennoch gilt auch für das ganze Universum, daß es nicht erzwingt, was später geschieht. Sondern wenn es etwas weiteres gäbe, was die materiellen Dinge beeinflussen könnte, dann könnte es den Gang des Universums verändern. Und das heißt, daß auch das ganze Universum nicht ein späteres Ereignis festlegt. Nur wenn es nichts gibt außer dem Universum, dann ist es so, daß es faktisch kontingenterweise nichts gibt, was den Gang der Dinge verändert, so daß es für das Universum schon stimmt, daß es eine Richtung hat, und die wird nichts aufhalten. Das ist richtig. Aber das Universum an sich, oder sagen wir mal so für jede Menge an materiellen Gegenständen zu einer bestimmten Zeit gilt: diese Menge an materiellen Gegenständen, also dieses Zeug oder dieser Sachverhalt. Die legt nicht fest, was danach geschehen wird. Denn sie schließt nicht aus, daß es noch etwas anderes gibt, was die betreffenden Dinge beeinflusst. Deswegen gilt für kein materielles Ereignis, daß es ein späteres Ereignis festlegt. Deshalb ist der ganze Gedankengang, daß Wunder unmöglich seien und daß für Wunder kein Platz wäre, weil die Kausalität jedes Ereignis festlegte; dieser ganze Gedankengang ist total falsch, und jedes Kind kann das erkennen. Es kann immer etwas dazwischenkommen.
Nicht nur Gott kann einen Vorgang aufhalten. Manche Kollegen, also Philosophen und Theologen, haben gesagt: Gott hat eine so besondere Macht, daß er eingreifen kann und, wie sie sagen, die Naturgesetze verletzen oder aussetzen kann. Aber meine These ist, daß das gar nicht nur für Gott gilt, sondern daß auch materielle Ereignisse, Menschen und Tiere Kausalvorgänge aufhalten können.
Die Annahme, daß da irgendwo Notwendigkeit ist in der natürlichen Kausalität sei, die ist total falsch. Wir nehmen nichts dergleichen wahr. Es ist schon erstaunlich, wie Kant behauptet hat, daß das Kausalprinzip für's Denken unausweichlich ist. Im 20. Jahrhundert hat der Theologe Rudolf Bultmann das dann noch wiederholt. Er sagte, wir könnten überhaupt kein Wunder denken, wir können uns das Naturgeschehen nicht anders als als gesetzmäßig vorstellen. Das ist eine kolossale Irrationalität. Vielleicht eine Eingebung, oder eine fixe Idee oder eine mysteriöse Idee. Richtig ist, daß wir uns bei jedem natürlichen Vorgang vorstellen können, daß Gott ihn aufhält, oder daß ein anderer materialler Vorgang oder ein Lebewesen ihn aufhält. Kants Kausalprinzip ist ein eindrückliches Beispiel dafür, wie das Denken verquer gehen kann, oder zu was man sich versteigen kann, wenn man nicht beim gesunden Menschenverstand bleibt, sondern irgendeinen Gedanken weiterspinnt.
00:22:58:17 Interviewer: Das wäre gerade meine Frage gewesen. Man fragt sich dann ja wirklich, wie intellektuelle Größen der heutigen Zeit wie der damaligen Zeit so fehlgehen konnten.
Daniel von Wachter: Es ist unter den Forschern ein Gefühl entstanden, daß es so eine Notwendigkeit gibt. Manche sagten dann noch: Die Naturwissenschaft ist ja so erfolgreich, sie erklärt immer mehr. Da kann man doch nicht annehmen, daß es Ereignisse gibt, die sich dem entziehen. Aber wenn man es genau betrachtet, sieht man, daß jeder kausale Vorgang von einem anderen Vorgang, von einem Menschen, einem Tier oder von Gott aufgehalten oder abgelenkt werden kann. Wenn es ein Gott gibt, dann kann natürlich auch er den einen materiellen Vorgang beenden oder ablennken, während er ihn erhält. Das ist eine einfache Einsicht.
Der Determinismus hat für manche Menschen eine große Anziehungskraft. Sie meinten, weil wir Naturgesetze entdeckt haben, mit denen man den Verlauf von Kausalvorgängen im voraus berechnen kann, geschehe alles im Universum mit Notwendigkeit. Aber das folgt überhaupt nicht. Da lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, was jetzt mit den Naturgesetzen ist, weil ein Gedanke, der viele bewegt und auch verständlicherweise bewegt, ist, daß man sagt, wenn ein Wunder, also ein eine Verletzung der Naturgesetze ist, wie David Hume es definierte, und wir die Naturgesetze aber doch sehr sicher kennen, was ja stimmt, dann ist es ja doch wieder so, daß die Annahme von Wundern der Naturwissenschaft widerspricht.
Und das ist eigentlich auch ganz einfach zu durchschauen. Denn nehmen wir doch mal die Naturgesetze. Bleiben wir bei den grundlegenden Gesetzen, und das sind die Gesetze der Physik, zum Beispiel das Gravitationsgesetz. Da steht ja auf der einen Seite, das ist gleich Zeichen ein F für Kraft und auf der anderen Seite steht dann eine Konstante namens G. Da geht es um zwei Körper, die haben beide eine bestimmte Masse. Nach dem G kommt die Masse des einen Körpers und die Masse des anderen Körpers. Also das Produkt von der Konstante G mit der Masse des einen Körpers und der Masse des anderen Körpers, geteilt durch den Abstand zum Quadrat. Das ist die Gravitationskraft. Angenommen, Gott hält einen Planeten auf, die einander so anziehen, wie Newton das beschreibt. Ist dann das Naturgesetz verletzt? Das Naturgesetz sagt ganz offensichtlich, daß zwischen zwei Körpern eine bestimmte Kraft besteht. Das Naturgesetz wäre genau dann verletzt, wenn Gott diese Kraft vernichten würde. Aber wenn Gott einen Planeten bewegt, ist überhaupt nicht anzunehmen, daß er diese Kraft verändert. Angenommen, Gott würde einen Planeten bewegen, so daß er nicht durch die Kraft beschleunigt wird, die von dem anderen Planeten ausgeht, dann besteht die Kraft trotzdem weiter. Gott hat halt den Planeten anders bewegt, aber die Kraft besteht weiterhin, daher ist das Naturgesetz in keiner Weise verletzt.
Nehmen wir ein bekanntes Beispiel aus dem Neuen Testament. Da heißt es, daß Petrus sich in einem Boot befindet und Jesus in einem anderen Boot sieht. Dann sagt Jesus: komm doch rüber. Petrus geht dann im Glauben auf dem Wasser. Was ist da geschehen? Ist ein Naturgesetz verletzt worden? Nein, Gott den Petrus gehalten. Es geht jetzt nicht darum, wie gut das, sondern nur darum, ob dieses Ereignis ein Naturgesetz verletzte. Die Antwort ist ganz klar Nein, weil davon auszugehen ist, daß auf den Körper des Petrus weiterhin die Gravitationskraft wirkt. Nur hat Gott in eine andere Position gesetzt. Er hat ihn auf dem Wasser gehalten. Es ist kein Naturgesetz verletzt. Dieses ganze Gerede davon, daß Wunder Verletzungen der Naturgesetze seien, ist, stimmt überhaupt nicht.
Wie kam David Hume darauf, daß Wunder „Verletzungen der Naturgesetze“ seien? Er ging nicht den Gesetzen der Newtonschen Mechanik aus, sondern Hume hat selber erfunden, was Naturgesetz ist. Also er hat überhaupt nicht die Naturgesetze aus der Physik oder aus der damaligen ihm bekannten Physik genommen, sondern Hume hat selber eine philosophische Konstruktion dazu aufgestellt, was ein Naturgesetz ist. Er nahm an, daß ein Naturgesetz sagt, daß Ereignissen einer bestimmten Art x immer ein Ereignis einer bestimmten Art y folgt. Betrachten wir ein Ereignis einer bestimmten Art, sagen wir mal zwei Planeten, also zwei Körper in einem bestimmten Abstand mit zwei bestimmten Massen. Nach Humes Auffassung heißt das: immer wenn zwei Körper da sind, welche diese Masse und diesen Abstand haben, dann beschleunigen sie auf eine bestimmte Weise. Immer wenn ein Ereignis der ersten Art eintritt, dann folgt ihm ein Ereignis der zweiten Art. Hume nahm außerdem an, daß jedes Ereignis Teil so einer Abfolgeregelmäßigkeit ist. Er nahm also an, daß es für jedes Ereignis in einem Naturgesetz festgelegt, was ihm folgen wird. Für jedes Ereignis ist festgelegt, was ihm folgen wird. Wenn das so wäre, dann wären Wunder tatsächlich Verletzungen der Naturgesetze. Es gäbe keine Wunder. Denn ein Wunder ist ja gerade ein Ereignis, welches von Gott direkt hervorgebracht wurde anstelle eines Ereignisses, das die Natur sonst hervorgebracht hätte. Aus Humes Definition eines Naturgesetzes folgt tatsächlich, daß ein Wunder eine Verletzung der Naturgesetze wäre. Und wenn dann diese Naturgesetze gewiß wären, dann wüssten wir, daß es keine Wunder gibt.
Der Haken daran ist, daß Naturgesetze überhaupt nicht dieser Art sind. Naturgesetze sind etwas völlig anderes, sie sind überhaupt keine Abfolgeregelmäßigkeiten. Wir sahen das schon im Fall der zwei Planeten. Das Gravitationsgesetz sagt uns, welche Kraft wirkt. Das Gravitationsgesetz ist gerade mit dem Buchstaben F, also mit der Kraft formuliert, weil wenn man versuchen würde, es anders zu formulieren, also wenn man sagen würde, wenn da zwei Körper sind, dann beschleunigen die auf eine bestimmte Art und Weise, dann merkt man sofort: Stimmt gar nicht, weil wie die dann beschleunigen, das hängt davon ab, was sonst auf die wirkt. Es hängt davon ab, welche Geschwindigkeit sie vorher haben und welche anderen Planeten auf sie wirken und meinetwegen welche Geister oder Gott auf die noch wirken. Deshalb sind die tatsächlichen Naturgesetze wie das Gravitationsgesetz nicht formuliert mit Bezug auf Ereignisse, welche tatsächlich stattfinden, sondern sie sagen, daß in einer bestimmten Situation bestimmte Kräfte bestehen. Wenn wir uns hier mal auf die mechanischen Gesetze beschränken. Die Naturgesetze sagen nur, welche Kräfte in was für Situationen bestehen, und Kräfte determinieren nicht, was geschieht. Kräfte determinieren nicht, was geschieht, weil verschiedene Kräfte wirken. Und zusätzlich kann eben auch noch Gott wirken, oder was für Geister man auch immer annehmen möchte. Also die Naturgesetze sind extra formuliert mit dem Buchstaben F.
Naturgesetze, wie Hume und die ihm nachfolgenden Philosophen sie sich das aus den Fingern gesaugt haben, die gibt es gar nicht. Die richtigen Naturgesetze sind mit dem Buchstaben F formuliert, denn was tatsächlich geschieht, das hängt davon ab, was alles sonst noch auf die Gegenstände wirkt. Da gibt es keine Abfolgeregelmäßigkeiten, sondern wenn einem Ereignis einer bestimmten Art x einmal ein Ereignis der Art y folgt, dann gibt es wahrscheinlich ein anderes Ereignis der Art x, dem kein Ereignis der Art y folgt, weil in diesem Fall etwas Zusätzliches wirkt. Was einem Ereignis einer bestimmten Art folgt, ist unterschiedlich in unterschiedlichen Situationen.
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Interviewer: Könnte man Kants Kausalitätsprinzip annehmen und sagen, daß Gott manchmal Ausnahmen macht? Da er selbst die Naturgesetze eingesetzt hat, ist das doch nicht so dramatisch.
Daniel von Wachter: Das wird erst dann eine verständliche Behauptung, wenn man sagt, was ein Naturgesetz ist. Nach den Naturgesetzen, die wir kennen, wie eben das Newtonsche Gravitationsgesetz, dann sieht man, daß Gott die gar nicht bricht. Ich glaube tatsächlich sogar, daß die strikt notwendig sind und daß Gott sie gar nicht brechen kann. Vermutlich. Das heißt, wenn zwei Körper da sind, besteht notwendig die Anziehungskraft zwischen ihnen. Aber nur die Kraft besteht mit Notwendigkeit. Geschehen können verschiedene Dinge, abhängig davon, was alles auf die Körper wirkt.
Aber ich kann deinem Einwurf noch etwas mehr Sinn abgewinnen. Im Alltag, außerhalb der Wissenschaft, bezeichnet man manchmal auch gewisse Wirkzusammenhänge als „Naturgesetze“. Zum Beispiel „Metall dehnt sich aus, wenn es erwärmt wird“, „ein toter Körper verwest“ oder „ein toter Körper wird nicht wieder lebendig“. „Metall dehnt sich aus, wenn es erwärmt wird“ ist etwas ganz anderes als das Gravitationsgesetz. Ich würde sagen, das sollte man nicht Naturgesetz nennen. Aber schauen wir es uns trotzdem mal an. Metall erwärmt sich, wenn es erwärmt wird und wenn nichts die Ausdehnung verhindert. Denn wenn es einen hinreichenden in einem hinreichend starken Schraubstock steckt, welcher die Ausdehnung verhindert, dann wird es sich eben nicht ausdehnen. Das heißt, wenn wir solche Aussagen formulieren darüber, was geschieht typischen Situationen oder wenn sonst nichts wirkt, dann sind das Aussagen, die sich nur auf die Fälle beziehen, in denen sonst nichts auf die Gegenstände wirkt. Diese Aussagen sind für die Wunder auch unproblematisch. So wie der Schraubstock eben das erwärmte Metall daran hindern kann, sich auszudehnen, so kann auch Gott eine Wirkung verhindern.
Wie steht es mit „Tote werden nicht wieder lebendig“? Dieser Satz ist kein Naturgesetz im richtigen Sinne. Er besagt, genauer formuliert, daß Tote nicht wieder lebendig werden, wenn nichts sie auferweckt. Sie werden nicht von allein wieder lebendig. Wenn wir beobachten, daß ein Toter wieder lebendig wird, dann wissen wir, daß eine mächtige Person eingegriffen hat. Und es muß dann also eine unsichtbare und sehr mächtige Person sein. Wenn man an einen Schöpfergott glaubt, dann ist das der beste Kandidat. Wenn man beobachtet oder erfährt, daß ein Toter wieder lebeindig wird, dann weiß man, daß Gott eingegriffen hat.
Manche wollen argumentieren, daß Tote nicht wieder lebendig werden, deshalb ist Jesus nicht auferstanden. Aber dieses Argument funktioniert nicht, denn gerechtfertigt sind wir nicht in der Annahme, daß es unmöglich ist, daß ein Toter wieder lebendig wird, sondern nur in der Annahme, daß es unmöglich ist, daß ein Toter wieder lebendig wird, ohne daß Gott (oder eine andere Person, die mächtig genug ist) ihn vom Tod auferweckt hätte. Wenn Gott existiert, dann kann er Tote wieder lebendig werden lassen. Die Frage ist, ob es ein Gott gibt. Wenn man sieht, daß ein Toter lebendig wird, dann hat man einen guten Grund anzunehmen, daß es einen Gott gibt und daß er ihn vom Tod auferweckt hat.
Interviewer: Das ist ein gutes Schlusswort hier für unsere Folge, danke. Lasst uns gerne wissen, was ihr zu der Folge denkt. Wenn ihr Rückfragen habt oder Einwände, dürft Ihr uns dieseauf den bekannten Kanälen schreiben. Dann freue ich mich aufs nächste Mal. Auf Wiederhören. Tschüss!