Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter im Interview in Colin Barkes und Stephan Langes Podcast „Glaube ist frag-würdig“. Liste der Folgen mit Daniel von Wachter. Zuerst erscheinen die Folgen auf letscast.fm, der Link zum Herunterladen findet sich auf podcast.de. Weitere Plattformen: Youtube, letscast.fm, Spotify, Amazon.de, podcasts.google.com, podcasts.apple.com, Stitcher, Deezer, listennotes.com, podtail.com, Tunen, Pocketcasts, Podcast Addict, RSS-Feed.
Podcast vom 6. August 2023 auf podcast.de.
Das Urheberrecht liegt beim Sprecher.
(Einige Stellen des folgenden Textes wurden überarbeitet, einige sind Zusammenfassungen des Gesprochenen. Genauere Ausführungen finden Sie in den auf www.von-wachter.de genannten Aufsätzen und Büchern.)
Interviewer: Herzlich willkommen zum Podcast „glauben ist fragwürdig“. Schön, daß du wieder mit dabei bist. Heute wieder mit dem Philosophen und Theologen Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter.
Interviewer: Daniel, das Thema Willensfreiheit. Warum ist das ein wichtiges Thema? Und was begeistert dich daran?
Daniel von Wachter: Ich interessiere mich für das Thema Willensfreiheit besonders, es hat mich immer begeistert, weil es ein Thema der Philosophie ist, das erstens wirklich greifbar und zweitens relevant ist. Es ist greifbar, das heißt, man handelt da nicht von Universalien oder möglichen Welten, wo man kaum versteht, was sie sein sollen. Sondern beim Thema Willensfreiheit da geht's wirklich darum, wie sind wir beschaffen? Es behandelt einen Aspekt der Welt oder genauer gesagt von uns, der wirklich wichtig ist. Das ist wirklich etwas, was wir gerne wissen möchten. Die Wahrheit darüber ist wirklich interessant, weil es geht darum, wie du und ich beschaffen sind und wie es mit unserem Handeln aussieht und was wir in unserem Leben überhaupt bewirken können.Daher finde ich das Thema Willensfreiheit ein besonders schönes philosophisches Thema, und ich benutze es oft, um den Wert oder auch Nutzen der Philosophie zu veranschaulichen.
Interviewer: Was ist Willensfreiheit? Wie kann man das erklären?
Daniel von Wachter: Nun habe ich gerade gesagt, daß das Thema so klar ist. Aber muß ich hinzufügen, daß wenn man es dann genau formulieren möchte, was eigentlich Willensfreiheit ist, dann sieht man, es ist doch nicht so einfach. Und so manche Diskussion über Willensfreiheit – gerade in der Theologie, wenn es dann um Calvinismus geht – scheitert dann doch daran, daß nicht ganz klar ist oder auch überhaupt nicht klar ist, was eigentlich Willensfreiheit ist.
Ich beginne mal mit der Aussage, daß der Mensch auf alle Fälle keine völlige Willensfreiheit hat. Der Mensch hat keine völlige Willensfreiheit, die hat nur Gott. Denn Gott wird durch keine Neigungen zum Handeln angetrieben oder in eine bestimmte Richtung bewegt, sondern Gott wird nur durch das Gute motiviert. Also wenn Gott eine Pflicht hat, zum Beispiel ein Versprechen zu halten, dann ist er in einem gewissen Sinne auch frei. Aber es ist unmöglich, daß er seine Pflicht nicht erfüllen wird. Wenn Gott ein Versprechen gegeben hat, dann wird er es auch halten, und da ist keine offene Zukunft. Das heißt, da ist nicht das Phänomen, das man bei dem Thema der menschlichen Willensfreiheit im Auge hat, daß da die Zukunft offen ist und der Handelnde die Welt in die eine oder andere Richtung gehen lassen kann. Das ist bei Gott, wenn er eine Pflicht hat, nicht der Fall, sondern da ist es eindeutig, in welche Richtung es geht. Und Gott ist also in dem Sinne vollkommen frei, daß er keinerlei Neigungen hat, sondern nur durch das Gute motiviert wird. Er ist rein rational. So eine Willensfreiheit hat der Mensch nicht.
Interviewer: Könnte man nicht dann auch sagen, daß Gott gerade unfrei ist?
Daniel von Wachter:
Beim Menschen ist es nicht so wie bei Gott, sondern beim Menschen ist es manchmal so, daß es offen ist, was er tun wird. Es liegt in seiner Hand, die Welt in die eine oder in die andere Richtung weiter gehen zu lassen. Und zwar ist das in zwei verschiedenen Arten von Fällen der Fall. Erstens haben wir manchmal die Wahl zwischen gleich guten oder gleich attraktiven Handlungsmöglichkeiten. Ob ich z.B. Marmelade oder Wurst zum Frühstück esse, das ist nicht moralisch relevant. Da ist keine schwierige oder tiefe oder moralisch relevante Wahlmöglichkeit.
Im anderen möglichen Fall der offenen Zukunft ist es so, daß da ein Mensch die eine Handlungsmöglichkeit für geboten, also für eine Pflicht hält. Er weiß, daß er die Handlung tun sollte. Beispielsweise das geliehene Geld zurückgeben. Er weiß, das hat er versprochen. Das Geld ist nicht sein Geld, er muß es zurückgeben. Und dann hat er aber auch eine Neigung, einen Trieb, der in eine andere Richtung geht, nämlich, er würde das Geld lieber behalten und für was anderes ausgeben. Daher sind in ihm zwei Kräfte, die zu zwei verschiedenen Handlungen weisen. Das eine ist es eine moralische Überzeugung, das andere ein Trieb oder eine Neigung. In diesem Fall ist offen, was diese Person tun wird, weil wir in einem gewissen Maße der Neigung widerstehen können.
In diesen zwei Arten von Fällen ist es beim Menschen offen, was er tun wird. Bei Gott ist das in einem bestimmten Fall nicht so, nämlich da ist es vorgegeben und notwendig, daß Gott das Richtige tun wird.
Manchmal ist es beim Menschen auch. Wenn er zum Beispiel eine feste moralische Überzeugung hat und gar keine Neigung hat, etwas anderes zu tun, dann steht es auch so gut wie fest, daß er der moralischen Überzeugung entsprechend handeln wird. Manchmal ist es umgekehrt so, daß eine Person einen ganz starken Trieb in eine Richtung hat und überhaupt keine moralischen Erwägungen in die andere Richtung. Manchmal gibt es keine Pflicht in eine andere Richtung. Dann steht es so gut wie fest, daß die Person dem Trieb nachgeben wird. Den Fall, daß offen ist, welche Handlung die Person tun wird, weil in ihr ein Trieb und eine Überzeugung zu unterschiedlichen Handlungen weisen, den gibt es nur beim Menschen, nicht bei Gott. Dieser Fall ist prägend für die menschliche Lebenssituation, für die Conditio humana.
Ich fasse zusammen: Nur in bestimmten Fällen ist es offen, welche Handlung eine Person tun wird. Auch Gott nennen wir „frei“, obwohl er nicht zwischen Pflicht und Neigung wählen kann. Wir nennen ihn „vollkommen frei“ in dem Sinne, daß er keinen nichtrationalen Neigungen ausgesetzt ist. Man könnte statt „vollkommen frei“ auch „rein rational“ sagen. Aber wenn wir über die menschliche Willensfreiheit diskutieren, dann geht es vor allem um die Frage, ob es manchmal offen ist, ob er nach seiner moralischen Überzeugung handelt oder dem Trieb nachgibt, und ob diese Wahl unter seiner Kontrolle ist.
Wenn also ein Mensch ganz von außen bestimmt wird oder wenn er auch nur durch seine Triebe bestimmt würde, dann würden wir sagen, der ist nicht frei. Also wenn er kaum Vernunft hat oder sein Gewissen nie geschult hat und ganz von seinen Trieben geleitet wird, dann würde man sagen, er hat gar keine oder nur einen gewissen Grad an Willensfreiheit.
Hier kommen wir der Diskussion, wie sie heute meistens geführt wird, schon näher, weil wir jetzt schon sehen, was oft gemeint wird, wenn gesagt wird, der Mensch hat keinen freien Willen. Da steht heute meist die Vorstellung dahinter, daß das menschliche Handeln genauso ist wie die materiellen Phänomene, die wir kennen und die wir beobachten. Sagen wir mal, wenn auf einem Billardtisch die Kugeln rollen oder wenn eine Flutwelle sich auf das Land zubewegt oder wie die Planeten sich bewegen. Wenn man meint, daß das ganze menschliche Handeln so ist wie die Bewegung der Planeten oder wie das Rollen der Billardkugeln oder wie ein Uhrwerk, dann heißt das, daß der Mensch keinen freien Willen hat. Dann wäre des Menschen Handeln nur das Ergebnis oder die Summe von Prozessen, die in ihm ablaufen, so wie eine Maschine das Ergebnis gewisse Prozesse ist. Dagegen steht die Behauptung der Willensfreiheit, die sagt: Nein, da ist etwas anderes im Menschen als nur dieses Herumgeworfenwerden durch äußere Faktoren.
Also ich behaupte Willensfreiheit in dem Sinn, daß das menschliche Handeln nicht nur aus seinen Trieben und Neigungen entsteht und auch nicht nur aus äußeren Faktoren besteht, etwa was jetzt so auf mein Gehirn einwirkt oder was im Gehirn für Vorgänge laufen. Das ist die Fremdbestimmung, die bestreite ich, wenn ich sage, der Mensch hat freien Willen. Keine Willensfreiheit hat der Mensch, wenn seine Handlungen nur das Ergebnis der laufenden Vorgänge sind, wie die Bewegung eines Blattes im Wind. Und die meisten Streiter der Willensfreiheit heute, die haben die Vorstellung, daß die ganze Welt nur aus solchen Ereignissen besteht, die das Ergebnis kausaler Vorgänge sind, die durch die Naturgesetze beschrieben werden.
In der These der Willensfreiheit steckt die Vorstellung, daß der Mensch nicht nur von außen bestimmt ist, sondern daß er einen inneren Kern hat, in dem die Entscheidung gefällt wird.
Ich will eine Willensfreiheit behaupten, die so ist, wie wir sie da spüren. Und da ist es eben so, daß ich in manchen Situationen, spüre, daß es in meiner Hand liegt, ob ich das eine oder das andere tun werde. Und daß es damit in meiner Hand liegt, ob die Welt in die eine oder in die andere Richtung weitergehen wird. Und der Willensfreiheitsleugner sagt, das ist alles vorherbestimmt.
…
00:18:59:02 Daniel von Wachter: Ich möchte noch einen Gedanken ausführen dazu, wie groß unsere Willenskraft ist und inwieweit wir uns und die Welt wirklich verändern können. Unsere Willensfreiheit ist oft nicht besonders groß. Unsere Willensfreiheit ist oft nicht besonders stark, sodaß wir oft scheitern mit unseren Vorsätzen. Da könnte man schließen: Ich habe ja gar keine Willenskraft. Es gelingt manchen Menschen nicht, vom Alkohol frei zu werden oder von der Spielsucht frei zu werden Es gelingt manchen Menschen, früher ins Bett zu gehen und früher aufzustehen. Wenn wir so mit unseren Lastern kämpfen oder uns gute Angewohnheiten anzugewöhnen versuchen, dann könnte man meinen, unsere Willensfreiheit ist ganz klein. … Aber da würde ich auf unsere Erfahrung hinweisen, daß wir zwar vieles in uns nicht auf den Schlag ganz verändern können, aber wir spüren ziemlich genau, daß wir beginnen können, in eine bestimmte Richtung bei uns zu wirken. Es kann zum Beispiel sein, daß es mir nicht am ersten Tag gelingt, früher aufzustehen, aber wenn ich es am ersten Tag nicht geschafft habe und mir es am zweiten Tag wieder vornehme, dann spüre ich, daß es am nächsten Tag es schon etwas besser gelingt. Am dritten scheitere ich wieder, aber am vierten Tag, da schaffe ich wieder eine Viertelstunde. Am fünften Tag schaffe ich, eine Stunde früher aufzustehen. So kann ich in meinem Leben über die Zeit hinweg durch meine Willenskraft doch so einiges verändern. Ich kann gewisse Fähigkeiten in mir entwickeln. Ich kann nicht sofort Klavier spielen, wenn ich jetzt einfach so anfange, aber wenn ich jeden Tag übe und das über zehn Jahre hinweg mache, dann kann ich einiges erreichen.
Auch in meinem Charakter kann ich durch kleine Schritte über eine lange Zeit hinweg einiges erreichen. Vielleicht bin ich jähzornig und kriege immer einen Zornes Ausbruch in bestimmten Situationen. Dann ist es zwar so, daß in der Einzelsituation das schwer kontrollieren kann und wieder in Zorn ausbreche. Aber wenn ich mir danach sage: Mensch, das war nicht gut, das nächste mal passiert dir das nicht mehr. Vielleicht passiert es mir beim nächsten Mal doch wieder. Aber dann beim dritten Mal, da will der Zorn vielleicht mich wieder übermannen. Aber dann sage ich Nein. Dann der Zorn ist Ausbruch nach fünf Sekunden zu Ende oder ich schaffe es beim nächsten Mal gleich, ihn zu verhindern.
Wenn ich das dann dreimal geschafft habe, dann wird die Neigung zum Zorn in mir schon schwächer. Und so wissen wir, wenn wir unser Leben und das Leben anderer betrachten, daß wir über die Zeit hinweg durch unsere Willenskraft unser Leben und unsere Neigungen und unsere Gewohnheiten recht stark verändern können. Deshalb meine ich, daß der Eindruck, den man haben kann, daß wir gar keine Willenskraft haben, mit der wir viel verändern können, doch aufgehoben wird.
00:23:32:10 Daniel von Wachter: Die heutige Diskussion über die Willensfreiheit steht im Zusammenhang mit der Kausalität. Da gibt es ein bestimmtes Weltbild, das heute immer noch weitverbreitet ist, wo man meint, daß gar kein Platz ist für Willensfreiheit in der Welt. Wenn es so ist, daß meine Entscheidung nur das Ergebnis von Vorgängen ist, die schon laufen und die ich nicht in der Hand habe. Sie finden nicht in meinem Denken statt, ich kann sie nicht kontrollieren. Wenn unsere Handlungen nur das Ergebnis kausaler Vorgänge ist, also wenn alles in meinem Gehirn so abläuft wie in einem Uhrwerk und da kommt einfach meine Handlung raus, dann bin ich nicht frei in dieser Handlung. Das ist ziemlich genau das, was man meint, wenn man sagt, der Mensch habe keinen freien Willen.
Wenn der Mensch aber frei ist, was ist dann der Fall? Dann heißt das also, daß die Handlung nicht das Ergebnis des laufenden Vorgangs ist. Es steht nicht fest, es ist nicht durch vorangegangene Ereignisse festgeschrieben, welche Handlung geschehen wird. Es ist auch kein Zufall, daß Ereignis einer Ereignis, einer Handlung, die zufällig geschehe, einfach so wie wenn es den echten Zufall gibt, manche Prozesse so sind, daß sie in die eine oder in die andere Richtung laufen können.
Wenn eine Handlung frei ist, dann ist es nicht nur offen, was der Mensch tun wird, sondern es liegt an ihm, was er tun wird. Er hat also die Kontrolle darüber, wie wir in der Philosophie sagen. Und was heißt das für die Kausalität in einer freien Handlung? Es heißt, daß bei einer freien Handlung der Mensch ein Ereignis hervorbringt , mit dem der Vorgang der Handlung in Gang kommt. Ein Ereignis, das keine vorangegangene Ursache hat. Ein Ereignis, das nicht das Ergebnis vorangegangener Prozesse ist. Es ist auch nicht zufällig entstanden, sondern es ist ein Ereignis, welches die Person gesetzt hat.
Das heißt, in einer freien Handlung hat die Person die Macht, ein Ereignis zu setzen, so daß dieses Ereignis keine vorangegangene Ursache hat, sondern durch die Person gesetzt wird. Solche Ereignisse nenne ich „Entscheidungsereignisse“. Das ist der Kern und das ist das, was Philosophen seit ein paar 100 Jahren so ablehnen oder so problematisch finden. Die meisten Gegner der Willensfreiheit heute, die bestreiten genau die Existenz solcher Entscheidungsereignisse. Auch die meisten, die behaupten, daß der Mensch einen freien Willen habe, möchten nicht solche Ereignisse annehmen. Das kommt daher, daß man meint, daß jedes Ereignis das Ergebnis von kausalen Prozessen ist. Im 19. Jahrhundert meinte man, es seien deterministische, nichtprobabilistische Prozesse. Heute erkennen die meisten die Möglichkeit probabilistischer Vorgänge an, aber immer noch meint man, daß ein Ereignis das Ergebnis eines Vorgangs sein muß. Mein meint, daß die ganze Welt nur ein Netzwerk von kausalen Vorgängen ist und daß jedes Ereignis durch einen kausalen Vorgang hervorgebracht wird. Und ich meine, daß da ein gewisser Denkfehler darin liegt. Da ist nämlich die Vorstellung dahinter, daß die Vorgänge unaufhaltsam sind. Da besteht die Vorstellung, daß ein Vorgang festlegt, was geschehen wird. Dem halte ich entgegen, daß ein Vorgang zwar eine Richtung hat, aber so ein Vorgang hat keine Richtung, die unaufhaltsam wäre. Vorgänge sind immer aufhaltbar. Was die Willensfreiheitsleugner übersehen, ist, daß es ganz normal ist, daß Vorgänge aufgehalten werden. Und zwar werden Vorgänge insbesondere durch andere Vorgänge aufgehalten. Mit Vorgang meine ich einen kausalen Prozess, so etwas wie das Rollen einer Billardkugel. Wo immer so ein Prozess läuft, da ist es möglich, daß dieser Prozess aufgehalten wird. Durch eine andere Kugel zum Beispiel. Oder durch eine Katze, die auf den Billardtisch springt. Oder auch durch meine freie Handlung, indem ich mit meiner Hand die Kugel aufhalte. Die Kritiker der Willensfreiheit sind beseelt von der Idee, daß das ganze Universum wie ein Uhrwerk abläuft und daß die einzige Möglichkeit, wie immer ein Ereignis eintreten kann, ein Vorgang ist. Jedes Ereignis ist das Ergebnis eines Vorgangs, welcher von einem Naturgesetz beschrieben wird. Dem halte ich entgegen, daß wir gar keinen Grund haben für diese Annahme, sondern was wir spüren, ist, daß wir Ereignisse setzen können. Also wir können Handlungen setzen, und wenn wir darüber nachdenken, dann sehen wir, daß diese Handlung dann ein Ereignis enthalten, welches wir setzen, welches nicht das Ergebnis eines vorangegangenen Prozesses ist. Daß wir diese Fähigkeit haben, den Eindruck haben wir, und dieser Eindruck ist es, was unseren Glaube an die Willensfreiheit rechtfertigt. Wir spüren, daß wir Ereignisse setzen können.
00:30:07:03
Interviewer: Ist der Determinismus auch deswegen so attraktiv, weil wir in der Welt die Kausalität beobachten?
Daniel von Wachter: Wir beobachten die Bewegungen der Planeten oder die Bewegung der Billardkugeln. In solchen Fällen, die übersichtlich sind und nur wenige Körper enthalten, können wir die Bewegung der Körper vorhersagen. Da beobachten wir, daß jedes Ereignis, also jeder Abschnitt der Bewegung der betreffenden Körper, das Ergebnis vorangegangener Vorgänge ist, nämlich der Bewegung der Körper. Aber daraus, daß es solche Systeme gibt, deren Verhalten wir vorhersagen können, folgt nicht, daß jedes Ereignis determiniert wäre.
Schon bei der Billardkugel sehen wir, daß ihr Verhalten nicht determiniert ist. Wir sehen nämlich, daß das Verhalten der Billardkugel vorherzusagen ist, wenn das System einfach genug ist. Aber es ist nur vorherzusagen mit der Bedingung, daß sonst nichts auf die Billardkugel wirkt. Wir können immer nur in der Naturwissenschaft Vorhersagen der Form treffen: Dies und das wird geschehen, wenn nichts anderes als das Betrachtete auf den betreffenden Gegenstand wirkt. Das zeigt schon, daß es immer möglich ist, daß auch etwas anderes auf den Gegenstand wirkt. Die Prozesse, die wir beobachten und deren Verlauf wir vorhersagen können, sind immer so, daß sie auch abgelenkt werden können von einem weiteren Gegenstand, den wir in die Berechnung nicht einbezogen haben. Der Fehler bei der Leugnung der Willensfreiheit besteht darin, daß man so getan hat, als ob die kausalen Vorgänge, die wir in der Physik betrachten, unaufhaltbar Prozesse wären. Aber das stimmt nicht. Jeder Sachverhalt jedes Ereignis, weist in eine bestimmte Richtung. Wenn nichts anderes wirkt, werden sich die Dinge in diese Richtung weiterentwickeln. Aber es ist immer möglich, daß etwas die Dinge von diesem Kurs abbringt. Ein Ereignis x zu einem Zeitpunkt t1 ist auf ein Ereignis Y zu einem späteren Zeitpunkt t2 gerichtet. Und es ist wahr, daß dieses Ereignis x zu jenem Ereignis y führen wird und führen muß, wenn sonst nichts anderes auf die Gegenstände wirkt und wenn sie weiter in Existenz bleiben. Aber es bleibt immer die Möglichkeit offen, daß etwas anderes das Eintreten von y verhindert.
Die wichtige Frage ist: Was für ein Grund haben wir, an die Existenz dieser Willensfreiheit zu glauben? Vorhin habe ich gesagt, daß wir den Eindruck haben, daß unser Handeln frei ist. Es gibt noch ein Gedankenexperiment, durch welches man das noch etwas klarer zum Vorschein bringen kann. Wenn unsere Welt ganz durch die Naturgesetze vollständig beschrieben würde, wenn also jedes Ereignis vorhersagbar wäre. Wenn jedes Ereignis durch vorangegangene Ereignisse festgelegt wird und auch vorhersagbar ist, dann könnte es ja einen sehr kompetenten Wissenschaftler mit unendlichen Fähigkeiten geben, der zu jeder Zeit auch die zukünftigen Ereignisse vorhersieht. Er könnte zu einem Zeitpunkt t1 vorhersehen, daß ich meinen Arm nach links bewegen werde. Und wenn er das vorherweiß, dann kann er es ja auch sagen und er kann es mir auch mitteilen. Er kann mir sagen: Du wirst einen Arm nach links bewegen. Wenn wir uns das vor Augen führen, dann sehen wir: In dem Moment könnte ich einfach meinen Arm nach rechts stattdessen bewegen. Ich könnte also diese Vorhersage falsch werden lassen. Es ist in meiner Macht, in diesem Moment die Welt nach links oder nach rechts gehen zu lassen. Darin spüren wir, daß es nicht so ist, daß die Welt ein späteres Ereignis festlegt oder den weiteren Verlauf festlegt.
Der Verlauf der Welt ist nicht festgelegt durch das, was geschehen ist, sondern die Welt hat immer nur oder Jeder Sachverhalt hat immer nur eine bestimmte Richtung. Und wenn es etwas anderes gibt, was die Richtung ändert, dann geschieht eben etwas anderes. Und so ist es auch beim menschlichen Handeln. Und anhand dieses Gedankenexperimente können wir sehen Ja, der Mensch, der hat diese Fähigkeit, die Welt in die eine oder in die andere Richtung gehen zu lassen.
Interviewer: Dann könnte man ja auch fragen: Warum ist das überhaupt ein starkes Argument, daß wir den Eindruck haben von Willensfreiheit. So ein Eindruck kann ja auch daneben liegen. Ich kann auch eine Fata Morgana sehen, es muß ja nicht stimmen, was ich empfinde.
Daniel von Wachter: Alles, was wir wissen, wissen wir durch Eindrücke. Eindrücke sind unsere Quelle der Erkenntnis. Alles, was wir wissen, wissen wir dadurch, daß sich die Gegenstände uns auf eine bestimmte Weise darstellen. Die Welt drückt uns sozusagen eine bestimmte Überzeugung auf. Wenn ich einen Baum mit grünen Blättern im Garten sehe, drängt dieser mir die Überzeugung auf, daß dort ein Baum mit grünen Blättern sei. Dieser Sinneseindruck, dieses Sehen, ist auch ein Fall von Eindruck. Warum vertrauen wir zu Recht unseren Augen? Weil wir in einer Wahrnehmung mit den Augen den Eindruck haben, daß etwas so und so der Fall ist. Da ist ein Gegenstand, der drängt uns dazu, zu glauben, daß er existiert oder daß er so und so ist, wie er sich darstellt. Und so ist auch beim Handeln und bei der Willensfreiheit. Wenn wir das Gefühl haben, daß wir frei handeln, dann ist das erst einmal ein starker Grund dafür, anzunehmen, daß es auch so ist. Da ist es allerdings weiter zu prüfen, ob vielleicht da was schiefgelaufen ist mit dem Eindruck. Manchmal gibt es die Situation, daß wir durch andere Beobachtungen oder Überlegungen sehen können, daß der Eindruck nicht stimmt.
Im Fall der Willensfreiheit werfen die Kritiker ein: das kann nicht sein, weil jedes Ereignis durch vorangegangene Ereignisse festgelegt ist. Dagegen habe ich argumentiert. Wenn ein kausaler Prozess läuft, dann kann immer ein außenstehender Gegenstand den Prozess verändern oder stoppen. Wenn wir den Eindruck haben, daß wir in einer freien Handlung die Welt in die eine oder andere Richtung gehen lassen können, dann spricht nichts dagegen, daß das auch so ist.
Interviewer: Eine abschließende Frage: Ganz am Anfang haben wir gesagt, daß das ein begeisterndes Thema ist. Warum ist das eigentlich so wichtig, ob wir Willensfreiheit haben oder ob die Welt determiniert ist? Für den christlichen Glauben, aber auch für uns als Menschen generell.
00:38:48:21
Daniel von Wachter: Die Willensfreiheit, so wie ich sie beschrieben habe, bedeutet, daß wir in diesem Leben die Möglichkeit haben, uns zu verändern und die Welt zu verändern und aus unserem Leben etwas zu machen. Wir haben also in vielen Situationen die Wahl zwischen unseren moralischen Überzeugungen und unseren Trieben. Es ist erstrebenswert, daß wir unsere Überzeugungen stärken, also daß wir die richtigen moralischen Überzeugungen gewinnen und daß wir sie so stark machen und unsere Triebe so unter Kontrolle kriegen, daß unsere Überzeugungen unsere Triebe kontrollieren, daß wir also unser Leben in der Hand haben und gut führen. Das werden wir gewiss nicht perfekt machen, aber das ist die Aufgabe, die sich uns im Leben stellt.
Und darüber hinaus ergibt sich durch das Thema der Willensfreiheit auch das Thema Schuld. Wir stellen fest, daß wir vor einem Berg an Schuld stehen. Wir erleben, daß wir schuldig werden. Böses geschieht. Da wissen wir als Mensch nicht so recht weiter. Entweder wir sagen: die Schuld ist nicht so schlimm, oder wir sagen, sie ist schlimm und nicht behebbar. Und da kommt das Christentum und sagt: Ja, die Schuld ist erheblich, die Schuld besteht auch vor Gott. Das Christentum sticht mitten in dieses Wespennest unserer Existenz und sagt, daß es da eine Lösung hat. Die Ursache ist, daß wir Willensfreiheit haben und daß wir dadurch Schuld auf uns laden. Es leitet uns an, Schuld zu bereuen, durch Jesus Christus Vergebung zu bekommen, Gott unsere Leben anzubefehlen und unsere Willensfreiheit besser zu verwenden.